Die Frage nach den Erfolgschancen von angeordneten Coachings ist nicht einfach zu beantworten. Im Coaching steht die Reflexion des eigenen Verhaltens im Vordergrund – entscheidend für den Erfolg einer professionellen Begleitung ist die Veränderungsmotivation der Coachees. Freiwilligkeit bietet eine gute Voraussetzung – anderseits erreichen Führungskräfte mit angeordneten Coachings auch Mitarbeitende, die von sich aus diese Unterstützung nie in Anspruch nehmen würden.

Verantwortliche für Personalentwicklung sind immer wieder mit Fragen von Führungskräften konfrontiert wie: «Darf ich eine Mitarbeiterin zu einem Coaching zwingen?» Die Antwort lautet: Selbstverständlich darf eine Personalentwicklungsmassnahme angeordnet werden. Allerdings stellt sich sofort die nächste Frage: Macht das Sinn? Lohnt sich der zeitliche und finanzielle Aufwand, wenn der oder die Mitarbeitende wenig Problemeinsicht, Hoffnung auf Veränderung oder Motivation zeigt? Es gibt darum oft Zweifel, ob die angeordnete Begleitung in einer verhärteten Situation die passende Massnahme ist.

Wann macht ein angeordnetes Coaching Sinn?
Ein Coaching auf Anordnung der Führungskraft ist besonders in den folgenden Situationen gerechtfertigt:

  • Wenn andere Personen oder die betroffenen Mitarbeitenden selber unter dem problematischen Verhalten leiden und ihre Gesundheit gefährdet ist.
  • Wenn ein Verhalten nicht tolerierbar und mit den Führungsleitsätzen oder den Grundwerten des Unternehmens nicht vereinbar ist.

Dass Kundinnen und Kunden freiwillig an einem Coaching teilnehmen sollten, damit die Beratung Erfolg versprechend sein kann, steht für Coaches und Coaching-Forschende ausser Frage. Es gibt mittlerweile aber auch Stimmen, die angeordneten Coachings ebenso viele Erfolgschancen einräumen wie freiwilligen Coachings.
Braucht es die Freiwilligkeit als Rahmenbedingung für ein erfolgreiches Coaching, lohnt sich die Investition von Zeit und Geld für Mitarbeitende, die ein Coaching gar nicht wünschen?
In meinem Blog zeige ich auf, wie Coachings im nicht-freiwilligen Kontext gelingen können – und welche Aspekte besonders beachtet werden sollten.

Freiwilligkeit und Zwang
Wie können Coaches Menschen unterstützen, die an dieser Begleitung vorerst gar nicht interessiert sind? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, über Freiwilligkeit und Zwang nachzudenken.
Die Spannweite zwischen Freiwilligkeit und Zwang ist gross. Zwischen freiwillig und unfreiwillig liegen viele Schattierungen mit unterschiedlich grossen Anteilen von Freiwilligkeit. Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit in Begleitungen sind keine trennscharfen Kategorien. Ich sehe diese beiden Begriffe oder Ausgangssituationen auf einer weiten Linie, mit der sich verschiedene, oft flüchtige Momentaufnahmen kreuzen.

Abbildung 1: Spektrum zwischen Freiwilligkeit und Zwang

 

Motivationsfaktoren (Motivationsanreize), welche über die Bereitschaft zu einem Begleitungsprozess mitentscheiden, gibt es viele. Sie können in sogenannte Push- oder Pull-Faktoren unterschieden werden:

  • Push: Die Arbeitgeberin droht eine Kündigung an.
  • Pull: Die betroffene Person hat Aussicht auf weniger Konflikte oder eine attraktive Arbeitsstelle.

Ist eine Kundin, die zum Coaching-Gespräch erscheint, grundsätzlich freiwillig hier, auch wenn sie von ihrer Chefin dazu genötigt wurde? Liegt gar ein grundsätzliches Missverständnis des Begriffs «freiwillig» vor?

Abbildung 2: Freiwillig oder unfreiwillig? Begriffe mit vielen Schattierungen

 

Da wir davon ausgehen, dass die Kundin nicht in Handschellen zum Coaching-Gespräch geführt wird, kann sie höchstens von ihrer Chefin vor ein Ultimatum gestellt worden sein. Zum Beispiel: «Entweder du stimmst einem Begleitungsprozess zu, oder wir entziehen dir deine Führungsrolle!». Ziel des Coachings wäre dann, die Führungsarbeit in Bezug auf Führungsgrundsätze und Leitbild zu reflektieren.

Wenn wir die ganze Bandbreite zwischen Freiwilligkeit und Zwang betrachten und bedenken, dass viele Coachees durch Angehörige oder Vorgesetzte beeinflusst oder gar zu etwas gedrängt werden, gibt es möglicherweise mehr «Unfreiwillige» in Begleitungsprozessen als wir bisher dachten.

Für die Bereitschaft, einen Begleitungsprozess in Angriff zu nehmen, sind mehrere Aspekte verantwortlich: Veränderungsmotivation, Problemeinsicht, Hoffnung auf Veränderung, Verantwortungsbewusstsein, Unternehmenskultur etc. Alle diese Aspekte wiederum sind geprägt durch Erfahrungen, die wir entweder direkt oder indirekt mit Coachings und Beratungspersonen gemacht haben.

Die Wahrnehmung der Kundin nutzen
Unfreiwillige Kundinnen sehen Probleme selten bei sich, sondern vielmehr bei andern: Sie beschreiben gerne den Druck der Auftraggeberin (der Führungskraft) als Problem. Daher müssen professionell arbeitende Coaches ihr methodisches Vorgehen so wählen, dass die Wahrnehmung der Kundinnen für die Arbeit genutzt werden kann (Conen & Cecchin, 2018).
Das Hauptproblem der unfreiwilligen Kundinnen ist in der Regel, dass sie zunächst bemüht sind, die an ihnen geübte Kritik abzuwehren. Es muss deshalb das erste Ziel sein, von der widersprüchlichen Problemwahrnehmung zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen, wie der Konflikt gelöst werden kann.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft
«Ohne eine irgendwie begründete Hoffnung auf eine bessere Zukunft, eine verbesserte Lebenssituation und auf Perspektiven scheint es wenig Sinn zu haben, die Anstrengungen und Unwägbarkeiten von Veränderungen auf sich zu nehmen.»
(Conen & Cecchin, 2018)
Wer hoffnungslos ist, gibt sich selbst keine Chance. Zwar kann sich eine – unfreiwillige – Kundin im Klaren sein, dass eine Veränderung notwendig ist. Wenn sie aber gleichzeitig denkt, dass dies nicht möglich ist, wird sie sich nicht verändern und in ihrer Hoffnungslosigkeit verharren.
Als Begleitungspersonen können wir Kundinnen ermutigen und ihnen helfen, neue Perspektiven zu entwickeln. Wir können sie dabei unterstützen, ihre Handlungsspielräume auszuloten und realistische, erreichbare Ziele zu setzen. Wir sollten ihre pessimistischen Zukunftsvorstellungen hinterfragen und das Vertrauen in ihre Fähigkeiten stärken.

 

Erklärung der verwendeten Begriffe
Begleitungsperson/Beraterin: Coach
Kundin: Mitarbeitende(r) aus Sicht der Auftraggeberin bzw. der Führungskraft
Auftraggeberin: Führungskraft, Arbeitgeberin
Begleitungsprozess: Coaching-Prozess
Coaching: Personalentwicklungs- bzw. Begleitungsangebot
Coachee: Mitarbeitende in einem Begleitungsprozess